Die astronomische Nutation (zu lateinisch nutare ‚nicken‘) ist der relativ schnell schwankende Teil der Präzession der Erdachse im Raum unter dem Einfluss von Sonne und Mond. Die stärkste dieser Schwankungen wird durch die Präzession der Mondbahn verursacht, deren Knotenlinie mit einer Periode von 18,6 Jahren umläuft. Die Amplitude dieser Komponente beträgt

  • ±9,2″ rechtwinklig zur Ekliptik und
  • ±6,8″ parallel zur Ekliptik.

Weitere Komponenten der Nutation haben Amplituden unter 1″ und kürzere Perioden.

Zusammen mit der Richtung der Erdachse ändert sich auch die Orientierung des äquatorialen Koordinatensystems für die Sternörter.

Entdeckt wurde die Nutation der Erdachse 1728 von James Bradley, als er genaue Analysen von Sternkoordinaten vornahm. Die Ursache konnte man aber erst 20 Jahre später klären. Die ebenfalls von Bradley entdeckte Aberration des Lichtes ist ähnlich groß.

Einfluss auf die Sternkoordinaten

Da Erdachse und Ekliptik das astronomische Koordinatensystem definieren, verändern sich mit der Richtung der Erdachse die Koordinaten aller Himmelskörper. Für die etwa 2000 Fundamentalsterne – die den meisten Messungen am Himmel zugrunde liegen – werden die Sternörter unter Berücksichtigung der Präzession und der Nutation in 10-Tages-Abständen vorausberechnet und in astronomischen Jahrbüchern bzw. im Internet publiziert. Das wichtigste dieser Jahrbücher heißt Apparent Places of Fundamental Stars und wird vom Astronomischen Recheninstitut (ARI) in Heidelberg jährlich im Voraus herausgegeben.

Der Einfluss der „kurzperiodischen“ Nutationsanteile mit Perioden unter 35 Tagen ist jedoch bei Sternen, deren Örter in Zeitabständen von zehn Tagen tabelliert sind, nicht berücksichtigt; sie müssen mit Hilfstabellen oder kleinen Zusatzprogrammen berechnet und zu den publizierten Sternörtern addiert werden.

Der Einfluss der Polbewegung wird hingegen an den Messungen selbst angebracht, ebenso die Zeitkorrektur dUT1 der Erdrotation.

Berechnungsmodell

Um die Nutation der Erde zu berechnen, wurden von der IAU Modelle veröffentlicht. Dabei werden die Positionen von Mond und Sonne berücksichtigt (IAU 1980 Theory of Nutation), beim neuesten Modell auch die Planetenpositionen (IAU 2000A Theory of Nutation). Mit der Theorie von 1980 kann eine Genauigkeit von 0,0001″ erzielt werden, die für die meisten astronomischen Anwendungen ausreicht.

Die Grundlage bilden die periodischen Elemente der Nutation mit ihrer unterschiedlichen Periodendauer (siehe Grafik).

Sei

  • T die Anzahl der Julianischen Jahrhunderte mit T = J D E 2451545 36525 {\displaystyle T={\frac {JDE-2451545}{36525}}}
  • Δ ψ {\displaystyle \Delta \psi } die Nutation der Länge und
  • Δ ϵ {\displaystyle \Delta \epsilon } die der Schiefe.

JDE bedeutet traditionell nach Ephemeridenzeit gezähltes Julianisches Datum, welches beinahe identisch mit dem Datums- und Zeitwert in TDB übergeben werden kann. Für eine Umrechnung von UTC ist insbesondere der Wert von Delta T erforderlich, der im Jahr 2010 etwa 61 Sekunden beträgt.

Die Amplituden betragen:

  • ± 9,2″ für Δ ϵ {\displaystyle \Delta \epsilon }
  • ±17,2″ für Δ ψ {\displaystyle \Delta \psi } (= ±6,8″/sin ϵ {\displaystyle \epsilon } )
mit ϵ = 23 26 {\displaystyle \epsilon =23^{\circ }\,26'} der mittleren aktuellen Schiefe der Ekliptik.

Für die weitere Berechnung werden noch fünf Einflussgrößen benötigt:

  • Mittlere Elongation des Mondes
D = 1 3600 ( 1072260,703 692 1602961601,209 0 T 6,370 6 T 2 0,006 593 T 3 0,000 03169 T 4 ) {\displaystyle D={\frac {1^{\circ }}{3600}}\left({1072260{,}703692 1602961601{,}2090T-6{,}3706{T^{2}} 0{,}006593{T^{3}}-0{,}00003169{T^{4}}}\right)}
  • Mittlere Anomalie der Sonne
M = 1 3600 ( 1287104,793 048 129596581,048 1 T 0,553 2 T 2 0,000 136 T 3 0,000 01149 T 4 ) {\displaystyle M={\frac {1^{\circ }}{3600}}\left({1287104{,}793048 129596581{,}0481T-0{,}5532{T^{2}} 0{,}000136{T^{3}}-0{,}00001149{T^{4}}}\right)}
  • Mittlere Anomalie des Mondes
M = 1 3600 ( 485868,249 036 1717915923,217 8 T 31,879 2 T 2 0,051 635 T 3 0,000 24470 T 4 ) {\displaystyle M'={\frac {1^{\circ }}{3600}}\left({485868{,}249036 1717915923{,}2178T 31{,}8792{T^{2}} 0{,}051635{T^{3}}-0{,}00024470{T^{4}}}\right)}
  • Mittleres Argument des Perigäums
F = 1 3600 ( 335779,526 232 1739527262,847 8 T 12,751 2 T 2 0,001 037 T 3 0,000 00417 T 4 ) {\displaystyle F={\frac {1^{\circ }}{3600}}\left({335779{,}526232 1739527262{,}8478T-12{,}7512{T^{2}}-0{,}001037{T^{3}} 0{,}00000417{T^{4}}}\right)}
  • Mittlere Länge des aufsteigenden Knotens der Mondbahn
Ω = 1 3600 ( 450160,398 036 6962890,543 1 T 7,472 2 T 2 0,007 702 T 3 0,000 05939 T 4 ) {\displaystyle \Omega ={\frac {1^{\circ }}{3600}}\left({450160{,}398036-6962890{,}5431T 7{,}4722{T^{2}} 0{,}007702{T^{3}}-0{,}00005939{T^{4}}}\right)} .

Zum Weiterrechnen empfiehlt es sich, den Winkel auf den Wertebereich 0°…360° zu reduzieren.

Mit nachfolgender Tabelle werden die einzelnen Ausdrücke wie folgt summiert:

Δ ψ = 10 4 i ( S i S i T ) sin ( D i D M i M M i M F i F Ω i Ω ) {\displaystyle \Delta \psi =10^{-4}\cdot \sum \limits _{i}\left(S_{i}' S_{i}''\cdot T\right)\cdot \sin \left(D_{i}\cdot D M_{i}\cdot M M_{i}'\cdot M' F_{i}\cdot F \Omega _{i}\cdot \Omega \right)}
Δ ε = 10 4 i ( C i C i T ) cos ( D i D M i M M i M F i F Ω i Ω ) {\displaystyle \Delta \varepsilon =10^{-4}\cdot \sum \limits _{i}\left(C_{i}' C_{i}''\cdot T\right)\cdot \cos \left(D_{i}\cdot D M_{i}\cdot M M_{i}'\cdot M' F_{i}\cdot F \Omega _{i}\cdot \Omega \right)}

Falls Sinus und Cosinus Argumente in Bogenmaß verlangen, sind die Werte der vorigen Berechnungen in rad umzurechnen. Das Ergebnis ( Δ ψ , Δ ε {\displaystyle \Delta \psi ,\Delta \varepsilon } ) liegt in Bogensekunden vor.

Tabelle der IAU 1980 Theory of Nutation

Beispielwerte

Näherungsweise Berechnung

Berücksichtigt man bei den fünf Polynomen nur die Terme bis zum Grad 1 und verwendet man nur die ersten vier Tabellenzeilen (diese haben die höchsten Koeffizienten), so lässt sich eine vereinfachte Formel herleiten. Dazu wird das Argument jedes Sinus- und Cosinuswertes, welches eine Linearkombination aus den fünf Eingangswerten ist, explizit berechnet. Die Umwandlung in rad wird ebenfalls durchgeführt, da die meisten Implementierungen diese Angaben benötigen.

A = ( 0 0 0 0 1 0 0 2 2 2 0 0 2 0 2 0 0 0 0 2 ) ( 485868,249 036 1717915923,217 8 1287104,793 048 129596581,048 1 335779,526 232 1739527262,847 8 1072260,703 692 1602961601,209 0 450160,398 036 6962890,543 1 ) ( 1 T ) π 3600 180 = ( 2,182 43920 33,757 0460 T 2,776 24462 1256,663 93 T 7,620 68856 16799,418 2 T 4,364 87839 67,514 0919 T ) {\displaystyle A=\left({\begin{array}{ccccc}0&0&0&0&1\\0&0&2&-2&2\\0&0&2&0&2\\0&0&0&0&2\\\end{array}}\right)\cdot \left({\begin{array}{rr}{485868{,}249036}&{1717915923{,}2178}\\{1287104{,}793048}&{129596581{,}0481}\\{335779{,}526232}&{1739527262{,}8478}\\{1072260{,}703692}&{1602961601{,}2090}\\{450160{,}398036}&{-6962890{,}5431}\\\end{array}}\right)\cdot \left({\begin{array}{rr}1\\T\\\end{array}}\right)\cdot {\frac {\pi }{3600\cdot 180}}=\left({\begin{array}{r}2{,}18243920-33{,}7570460T\\-2{,}77624462 1256{,}66393T\\7{,}62068856 16799{,}4182T\\4{,}36487839-67{,}5140919T\end{array}}\right)}

Die Nutation ergibt sich dann aus

Δ ψ = 10 4 ( 171996 174 , 2 T 13187 1 , 6 T 2274 0 , 2 T 2062 0 , 2 T ) sin A {\displaystyle \Delta \psi =10^{-4}\cdot \left({\begin{array}{r}-171996-174{,}2T\\-13187-1{,}6T\\-2274-0{,}2T\\2062 0{,}2T\end{array}}\right)\cdot \sin A}
Δ ϵ = 10 4 ( 92025 8 , 9 T 5736 3 , 1 T 977 0 , 5 T 895 0 , 5 T ) cos A {\displaystyle \Delta \epsilon =10^{-4}\cdot \left({\begin{array}{r}92025 8{,}9T\\5736-3{,}1T\\977-0{,}5T\\-895 0{,}5T\\\end{array}}\right)\cdot \cos A}

wobei der Sinus und Cosinus aus einem Vektor als Vektor der Sinus bzw. Cosinus-Werte definiert ist. Das anschließende Skalarprodukt multipliziert schließlich die Werte mit den Koeffizienten aus der Tabelle.

Der Fehler beträgt für |T|<1 (also von 1900 bis 2100) bei Δ ψ {\displaystyle \Delta \psi } maximal 0,33" und bei Δ ϵ {\displaystyle \Delta \epsilon } maximal 0,09″.

Die IAU 2000 Theory of Nutation

Die Theorie aus dem Jahr 2000 besteht aus einer lunisolaren und einer planetarischen Tabelle. Hier kann die Genauigkeit auf 0 , 3 10 6 {\displaystyle 0{,}3\cdot 10^{-6}} Bogensekunden gesteigert werden; allerdings haben diese Tabellen etwa 470 Terme. Die exakte Position der Planeten ist ebenfalls erforderlich.

Literatur

  • Wolfgang Vollmann. Wandelgestirnörter. In: Hermann Mucke (Hrsg.): Moderne astronomische Phänomenologie. 20. Sternfreunde-Seminar, 1992/93. Zeiss Planetarium der Stadt Wien und Österreichischer Astronomischer Verein 1992, S. 55–102 (weblink, 27. Juli 2010)

Weblinks

  • Präzession und Nutation – Beschreibung mit anschaulichen Grafiken

Einzelnachweise


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